Alles begann mit einem Streit um die Kompetenzen des Betriebsrats im Rahmen seines gesetzlich vorgesehenen Mitbestimmungsrechts vor dem Arbeitsgericht Minden (Beschluss v. 15.09.2020 - Az.: 2 BV 8/20). Es endete allerdings mit einer Grundsatzentscheidung zur Arbeitszeiterfassung vor dem Bundesarbeitsgericht (Beschl. v. 13.9.2022 - Az.: 1 ABR 22/21).
Ein Betriebsrat einer vollstationären Wohneinrichtung stellte den Grundsatz der Mitbestimmungstatbestände in Frage, indem er von einem eigenen Initiativrecht hinsichtlich der Einführung eines Zeiterfassungssystems ausging. Grundsätzlich fällt diese Angelegenheit unter den Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs.1 Nr. 6 BetrVG. Ob aber letztendlich die entsprechende Maßnahme ergriffen wird, steht in der freien Entscheidung der Arbeitgeberseite.
Die Arbeitgeberseite verfolgte die Einführung eines solchen Zeiterfassungssystems und nahm folgerichtig entsprechende Verhandlungen mit dem Betriebsrat auf. Nach mehreren Gesprächen sah er jedoch von der Einführung ab, was der Betriebsrat nicht akzeptierte.
In der ersten Instanz wurde ein Initiativrecht des Betriebsrats abgelehnt. Hierzu wurde eine ältere Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Begründung herangezogen (BAG, Beschl. v. 28.11.1989, Az.: 1 ABR 97/88). Das zuständige Landesarbeitsgericht hingegen sah sehr wohl ein Initiativrecht des Betriebsrats in der Norm (Beschl. v. 27.7.2021 - Az.: 7 TaBV 79/20). Zu ähnlichen Ergebnissen kamen auch andere Landesarbeitsgerichte.
Dem erteilte nun das Bundesarbeitsgericht eine Absage. Auf die Frage, ob ein entsprechendes Initiativrecht des Betriebsrats bestehe, komme es gar nicht an. Dies sei nämlich nur dann von Relevanz, wenn keine gesetzliche Regelung besteht. Eine solche Regelung gibt es allerdings in Form des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG, wonach Arbeitgeber zur Sicherung des Gesundheitsschutzes für geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen haben. Dazu gehöre auch die Erfassung der Arbeitszeit (Beschl. v. 13.9.2022 - Az.: 1 ABR 22/21).
Diese Entscheidung kann nunmehr weitreichende Folgen haben. Es zeichnet sich ab, dass in Zukunft eine vollumfängliche Zeiterfassung durchzuführen ist und dadurch auch ein Ende der von vielen praktizierten Vertrauensarbeitszeit naht. Inwieweit das Bundesarbeitsgericht in zukünftigen Entscheidungen den Unternehmen einen Ermessensspielraum hinsichtlich der Arbeitszeiterfassung zubilligt, bleibt abzuwarten. Der Gesetzgeber muss im Rahmen seines bis dato nicht abgeschlossenen Gesetzgebungsverfahrens zur Umsetzung der EuGH-Vorgaben aus 2019 die Rechtsauffassung des höchsten deutschen Arbeitsgerichts berücksichtigen, um Rechtssicherheit zu schaffen und keine Regelungslücken offen zu lassen.
Vassilios Mpouras
Rechtsanwalt
Lawyers, Tax Consultants and Auditors.